"Denn siehe, ich will Neues schaffen. Jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht." (Jesaja 43,19)


Persönlich
„Der wächst nach!“, hatte jemand dem kleinen Mädchen gesagt.
Ungläubig stand sie vor dem Baumstumpf und fragte sich nur, wie das denn bitteschön gehen soll.
Um diese steile Behauptung vom Nachwachsen zu überprüfen, kam sie in den nächsten Wochen immer wieder zu diesem Baumstumpf, mit dem Vorhaben ihn genau zu beobachten.
Also starrte sie fast täglich auf die nackten Baumringe und wartete, dass der Baum dort wieder nachwächst.
Als sie das mit dem Nachwachsen schon als Quatsch abtun wollte, sah sie bei der letzten Inspektion des Stammes, wie ein einzelnes Blatt an der Seite frisch gewachsen war.
Offensichtlich war der Baum noch am Leben und es würde wohl tatsächlich noch etwas nachwachsen nur eben an einer anderen Stelle.
Es gibt harte Schnitte nicht nur bei Bäumen, sondern auch hier und da in der eigenen Biografie.
Wenn Ehen auseinandergehen, wenn nahe Menschen versterben, wenn der Arzt genau das sagt, was ich immer schon befürchtet hatte…
Nach manchen Einschnitten kann man sich nicht mehr vorstellen, dass das Leben überhaupt einmal wieder „grünt“.
Vielleicht starre ich dann auf meine „Schnittstellen“, in der Hoffnung, dass dort, wo die Wunde ist, auch wieder etwas wächst und es vielleicht wieder so wird wie früher.
Und auch die Stoßgebete drehen sich oft um diesen Wunsch.
Ähnlich wie das Mädchen auf die Schnittstelle am Baum schaute, in der Hoffnung, dass genau dort etwas grünt.
Mit diesem Blick hätte das Mädchen fast übersehen, dass in dem Baum tatsächlich noch Leben war.
Denn er bezog seine Kraft ja nicht nur von dem, was sichtbar in den letzten Jahren gewachsen war, sondern vor allem auch von verborgenen Wurzeln, die da waren, längst bevor der Baum „das Licht der Welt“ erblickte.
Der Baum wäre in den Augen des Mädchens nach dem Einschnitt fast nur kahler Stumpf gewesen.
Dabei begann an einer ganz anderen Stelle, als erwartet, etwas Neues zu wachsen.
Oft schreiben Leute die Sache mit Gott ab, wenn nicht passiert, was sie sich gewünscht haben.
Ich selbst starre dann auf den Baumstumpf in meinem Leben und muss sagen: Hier wächst nichts, hier tut sich nichts.
Was wäre, wenn Gott mir dann sagt: „Sieh genau hin, denn ich will in Deinem Leben Neues schaffen, es wächst schon auf. Erkennst Du es nicht?“
Meine Vorstellungen von dem, was Gott doch bitte tun soll, sind oft so klar, dass ich wie das Mädchen vom Anfang die Blätter und Neuansätze übersehe.
Wo sind sie eigentlich bei mir die kleinen Ansätze oder sogar Blätter, mit denen Gott mir selber zeigt: „Ich tu was an und in Deinem Leben und auch darüber hinaus. Ich will etwas Neues schaffen, keine Kopie der Vergangenheit, vielleicht auch nicht das, was Du erwartest, aber etwas Lebendiges!“?
„Erkennst Du sie nicht?“
Manchmal bleiben die Einschnitte in unserem Leben wie unbeantwortete Fragen bestehen, so wie sie auch bei Bäumen sichtbar bleiben.
Aber im Grunde bin ich dankbar, dass Gott nicht sagt: „Ich will Dir eine Antwort geben. Verstehts Du sie nicht?“
Sondern, „Ich will ein Neues schaffen, siehst Du es nicht?“.
Sicherlich hätte ich auf viele offene einschneidende Erlebnisse gern eine Antwort. Aber Antworten schaffen im Leben nicht unbedingt etwas Neues.
Glaube lebt mit offenen Fragen. Aber die Frage, ob Gott in meinem Leben gerade etwas tut und zu Lebzeiten oder darüber hinaus etwas erneuern will, die ist nicht offen.
Darauf zu vertrauen ist manchmal der einzige Weg, um vom Leben noch etwas zu erwarten.
Und so ist es das, was uns die kleine Glocke predigen kann, wenn wir sie hören:
"Gott spricht: Denn siehe, ich will Neues schaffen. Jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht." Jesaja 43,19
Als Kirche
Was eben gesagt wurde gilt besonders auch für die Kirche. An vielen Stellen erlebt die Kirche gerade Einschnitte. Die Statistiken sehen, wie die Zahlen schrumpfen: Mitglieder und Finanzen, Mitarbeiter und Stellenumfänge, Gottesdienstbesucher…
Viele innerkirchliche Leitungsgremien beschäftigen sich immer und immer wieder mit den nötigen strukturellen Herausforderungen, verbunden mit der Frage: „Wie soll das nur weitergehen?“.
Die Kirche gehört sich nicht selbst. Sie ist das, was entsteht, wenn Jesus Christus Menschen verbindet und in seinem Namen zusammenruft. Während die Kirchen in der „westlichen Welt“ schrumpfen, kommen andernorts auf der Welt unzählige Menschen zum Glauben. Während weniger Menschen in unsere Gottesdienste kommen, stellen immer mehr Menschen die Frage nach dem, was sie trägt, ihnen Sinn und Ruhe gibt, was der wachsende Markt an Literatur zum Thema Spiritualität vor Augen hält…
"Gott spricht: Denn siehe, ich will Neues schaffen. Jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht." Jesaja 43,19
Ich hoffe, dass wir es als Kirche erkennen, wo Gott am Wirken ist, dass wir nicht darin behaftet bleiben, auf die Einschnitte zu starren, sondern auf das, was Gott wachsen lässt.
Der Spruch der kleinen Glocke, er soll auch uns als Kirche den Blick zurechtrücken, hin auf die Verheißung, die trotz aller Ab- und Umbrüche gilt. Dass nicht wir alles schaffen müssen, sondern Gott selbst Leben gibt und schafft, gerade in seiner Kirche – nur eben oft anders als wir es erwarten.
Als Taufglocke
Die kleine Glocke wird gleichzeitig auch als Taufglocke bezeichnet. Was, wenn nicht die Taufe spricht vom Neuanfang. Wer getauft wird, sieht nachher noch genauso aus, wie vorher. Und doch schreibt Paulus einmal: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ 2. Kor 5,17
Mit dem Alten ist nicht nur das Vergangene gemeint. Gerade wenn Kleinkinder oder Babys getauft werden, wäre dieser Bibelvers sonst eher befremdlich. Mit „Neues“ ist eine komplett neue Situation gemeint. Vielleicht vergleichbar mit einer Hochzeit (sie Bibel selbst kennt und verwendet dieses Bild). Wer aus dem Standesamt kommt, sieht auch nicht anders aus, als vorher. Aber mit dem ausgesprochenen „Ja“ ist etwas anders und neu geworden, selbst wenn beide bereits länger ein Paar waren. Es ist eine engere Verbindung entstanden, ein „Raum“, in dem sich Beziehung anders lebt. Frei etwa von der Angst, dass das Ganze nur eine Lebensabschnittssache ist. Frei von der Befürchtung, dass der Andere sich von mir verabschiedet, sobald es einmal kriselt. Nicht selten wird ein gleicher Nachname angenommen, um zu verdeutlichen, dass beide unweigerlich miteinander verbunden sind. Etwas „Neues“ ist entstanden. Was das bedeutet zeigen dann meistens erst der Alltag und die Jahre danach.
Mit der Taufe ist man mit Jesus Christus so eng verbunden, trägt quasi seinen Nachnamen (Christ). Es entsteht ein „Raum“, in dem sich das Leben anders lebt. Frei von der Angst, dass Gottes gute Gedanken über mich nur eine Lebensabschnittssache sind. Frei von der Befürchtung, dass Gott sich von mir verabschiedet, sobald es einmal kriselt und mein Glaube sich Schrammen holt.
Auch mit der Taufe ist also etwas „Neues“ entstanden und auch hier werden erst der Alltag und die Jahre danach zeigen, was das bedeutet.
Was genau es für unser Leben bedeuten kann, ist an Jesus sichtbar geworden.
Als er sich taufen ließ, hörte er, wie Gott ihn ansprach: „Du bist mein lieber Sohn, an Dir habe ich Freude!“. Als Jesus gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde, schien es, als hätte Gott sich von Jesus „scheiden lassen“. Die Worte von damals zur Taufe, waren am Tag der Gefangennahme und Hinrichtung überhaupt nicht mehr greifbar. Warum taufen wir also noch, wenn Gott nicht hält, was er verspricht? Nun wir taufen noch und zwar viel bewusster, weil es ein Ereignis gab, dass die einen für ein Hirngespinst hielten und die anderen erlebten als etwas, das alles verändert – die Auferstehung Jesu. Diejenigen, die vorm leeren Grab standen und Jesus erlebt haben, verstanden, wie weit Gottes „Ja“ geht und wie ernst gemeint war, was Jesus zu seiner Taufe hörte.
Taufe schafft eine neue Situation, eine neue Beziehung, ein neues Verhältnis zwischen mir und Gott. Eine Beziehung aus der ein erfülltes Leben wachsen kann.
"Gott spricht: Denn siehe, ich will Neues schaffen. Jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht." Jesaja 43,19
Erklärung zur Gestaltung
Die Glockengestaltung versucht, den Bibelvers optisch umzusetzen. Wer auf die Glocke schaut, sucht wahrscheinlich nach einem Symbol, wie auf den anderen Glocken. Doch dort, wo man es erwartet, ist es leer. Stattdessen ist ein kleines keimendes Samenkorn am Rand zu sehen, das erst beim genaueren Hinschauen entdeckt wird. Nicht das Symbol, sondern die Erfahrung, die man beim Anblick der Glocke macht, gibt somit etwas vom Bibelvers wieder. Nämlich, dass Gottes Handeln oft übersehen wird, nur weil es nicht dem entspricht, was wir erwarten.
Pfarrer Andreas Lau
im Juli 2018